Altmaier korrigiert Stromverbrauchsprognose nach oben
Berlin (energate) – Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet für 2030 mit einer höheren Stromnachfrage als bisher angenommen. Neben den angepassten Klimazielen seien dafür etwa der schnelle Hochlauf von Elektroautos und Wärmepumpen verantwortlich. Über die Verbrauchsprognose hatte es in den vergangenen Monaten viele Diskussionen gegeben. Hintergrund ist, dass der Wert relevant ist für die Ausbaupfade für erneuerbare Energien. Diese sollen bis 2030 einen Anteil von 65 Prozent am Stromverbrauch erreichen. Im Ende 2020 von Union und SPD verabschiedeten EEG wird ein Verbrauchswert von 580 TWh angenommen. Die Opposition, aber auch Vertreter der Energiewirtschaft hatten diesen Wert als deutlich zu niedrig kritisiert und etwa auf die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität verwiesen (energate berichtete). Das Wirtschaftsministerium hielt allerdings lange an der Prognose fest, und verwies auf ein beauftragtes Prognos-Gutachten sowie eine Analyse des Ökoinstituts für das Umweltressort. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hatte das Thema im Wahlkampf aufgegriffen und Altmaier der “Stromlüge” bezeichnet (energate berichtete).
Anfang Juni hatte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) angekündigt, noch einmal bei Prognos nachrechnen zu lassen. Die ersten Ergebnisse stellte er am 13. Juli vor. Demnach gehen die Gutachter nun davon aus, dass der Stromverbrauch im Jahr 2030 bei 645 bis 665 TWh liegen wird. Ein endgültiges Ergebnis soll im September vorliegen. Altmaier betonte, mit der Einigung auf das höhere europäische Klimaziel für 2030 sowie das verschärfte nationale Klimaschutzgesetz habe es zuletzt zwei relevante Veränderungen gegeben. “Das hat Folgen für den Stromverbrauch”, so der Minister.
Mehr Elektroautos, mehr Wasserstoff
Altmaier nannte zudem weitere Aspekte für die geänderte Prognose: Verantwortlich sei etwa die zuletzt deutlich gestiegene Nachfrage nach Elektroautos angetrieben durch üppige Kaufanreize (energate berichte). “Wir gehen davon aus, dass wir im Jahr 2030 nicht sieben bis zehn, sondern 14 Mio. Elektroautos auf den Straßen sehen werden”, betonte Altmaier. Die von den meisten Parteien angekündigte Abschaffung der EEG-Umlage nach der Bundestagswahl werde zudem die Nachfrage nach Wärmepumpen erhöhen. Auch beim Thema Wasserstoff geht Altmaier von höheren Zahlen aus. “Es wird viele Projekte geben, die auch ohne staatliche Förderung gebaut werden.” Sein Haus rechnet daher mit einer Produktion von grünem Wasserstoff in Deutschland im Umfang von 19 TWh im Jahr 2030. In der nationalen Wasserstoffstrategie sind 14 TWh vorgesehen.
Zur Frage, in welchem Umfang nun die Ausbaupfade für erneuerbare Energien angepasst werden müssten, wollte sich Altmaier nicht äußern. “Das muss Thema der Koalitionsverhandlungen sein”, so der Minister. Er hoffe aber, dass die amtierende Bundesregierung mit einer Einigung auf die Stromverbrauchsprognose eine Grundlage dafür liefere. Klar sei, dass es beim Thema Netzausbau, aber vor allem bei der Windenergie, deutlich mehr und deutlich schnellere Fortschritte geben müsse. So hoffe er darauf, dass es bald mit den Ländern eine Einigung auf Flächenziele geben werde, betonte der Minister.
Opposition übt Kritik
Die Opposition reagierte mit Kritik auf die Aussagen des Wirtschaftsministers. Altmaier rechne sich den Strombedarf schön, kritisierte der energiepolitische Sprecher der FDP-Bundesfraktion, Martin Neumann. “Fraglich bleibt, woher die zusätzlichen ca. 15 Prozent künftig kommen sollen”, so Neumann. Die energiepolitische Sprecherin der Grünen, Julia Verlinden, erklärte, die Union habe die Annahmen zum Stromverbrauch gerne genutzt, um den Erneuerbaren-Ausbau zu bremsen. “Jetzt ist es wirklich unübersehbar: Der von der Koalition gedeckelte Ausbau der Erneuerbaren reicht vorne und hinten nicht, um die Klimaziele zu erreichen.”
Energiebranche sieht noch höheren Strombedarf
Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung betonte, eine realistische Prognose des Strombedarfs sei angesichts von erwartbar Mio. Elektroautos und Wärmepumpen längst überfällig. Ihr Verband gehe dabei von einem Verbrauch von 700 TWh im Jahr 2030 aus. “Dass wir mehr Tempo beim Erneuerbaren-Ausbau brauchen, dürfte allen klar sein. Es müssen endlich die Hemmnisse für Wind an Land beseitigt und ein PV-Boom ausgelöst werden”, so Andreae. Auch der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) hält die neue Stromverbrauchsprognose um rund 100 TWh zu niedrig. Die Annahme werde weiterhin nicht dem Markthochlauf von Sektorenkopplungstechnologien in Deutschland gerecht, so BEE-Präsidentin Simone Peter.
Bildquelle: BPA/Stefffen Kugler