Preisturbulenzen im Gashandel haben Markt-Konsequenzen
Die Turbulenzen am Gasmarkt sorgen nicht nur unter Gashändlern für Diskussionen.
Berlin (energate) – Der extreme Anstieg der Preise im Gashandel und die sehr hohe Preisvolatilität haben zunehmend Konsequenzen für den gesamten Markt. Am Mittwoch der vergangenen Woche hatten die Handelsturbulenzen ihren vorläufigen Höhepunkt erlebt. Im Verlauf des Tages war der Preis für den Frontmonat Oktober um 13 Euro auf fast 80 Euro/MWh gestiegen, um dann bis zum Handelsschluss wieder um 14 Euro zu sinken. Die sehr großen Preisausschläge finden vor allem bei den Kontrakten bis zum Ende des kommenden Winters statt. Aber auch der Preis für das Kalenderjahr Cal 22 ist seit Anfang des Jahres am NCG VP um fast 200 Prozent auf einen Spitzenwert von fast 45 Euro/MWh am 15. September gestiegen. In Großbritannien hat ein Düngemittelhersteller die Produktion eingestellt. Auch andere Anbieter klagen, so Medienberichte, über die extrem gestiegenen Preise. Die norwegische Yara wird in der kommenden Woche die Ammoniak-Produktion in ihren europäischen Werken reduzieren.
Die extrem hohen Preise haben Auswirkungen auf den Handel und die Handelsteilnehmer selbst: “Durch die hohen Preise sind die Kreditlinien so beansprucht, dass kaum noch jemand OTC handeln kann”, berichtete ein Händler. Der Terminhandel verlagere sich immer stärker an die Börse. “Bei den hohen Preisen werden dort aber die Beträge aus Margin Calls immer höher”, wies ein Händler auf ein mögliches Problem hin. Wobei das Cross-Margining hilft, zumindest wenn in verschiedenen Rohstoffen unterschiedliche Positionen gehalten werden. Bisher hat mit Nordstrom Invest nur eine Handelsgesellschaft Insolvenz angemeldet. “Das hatte keine Auswirkungen auf den Markt, es ist ein kleiner Händler”, sagte ein Marktteilnehmer. Sonst ist bisher nichts von Problemen zu hören.
Bepreisung von Kundenbelieferungen wird schwieriger
Im Vertriebsmarkt sind Auswirkungen zu spüren. Auf der Online-Plattform Enmacc hatten in der vergangenen Woche am Mittwoch einzelne Anbieter für kurze Zeit Quotierungen eingestellt, berichtete ein Marktteilnehmer. Sie mussten sich erst einmal sortieren. Zudem soll zumindest ein Anbieter zwischenzeitlich sein Bepreisungs-Tool abgestellt haben, da die Bepreisung von Kundenbelieferungen schwieriger wird, was etliche Marktteilnehmer bestätigen. Aber Anbieter arbeiten trotzdem weiter: “Der Vertrieb ist in der aktuellen Situation sicherlich stärker gefordert, aber wir stellen weiterhin Angebote und Kunden sind auch bereit, höhere Preise zu akzeptieren, da auch die Preise für andere Güter steigen. Unsere Tarife mit Preisgarantie und auch CO2-neutrale Tarife werden nach wie vor sehr nachgefragt”, sagte Sascha Kuhn, Geschäftsführer des Gasanbieters Teleson, zu energate.
Alle Marktteilnehmer erwarten, dass zumindest einzelne Anbieter im Endkundenmarkt Schwierigkeiten bekommen, wenn sie Vertriebspositionen nicht sofort eindecken. Keine ganz unübliche Strategie. In Großbritannien sind in der vergangenen Woche mindestens zwei kleinere Anbieter in Konkurs gegangen, weitere Insolvenzen werden im Grunde erwartet. Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng hat am Morgen des 20. September Vertreter der Gasindustrie zu einem Krisentreffen eingeladen. Geklärt werden soll, wie Kunden vor den Auswirkungen weiterer Konkurse geschützt werden können. Sorge bereite der Regierung vor allem, dass ein “mittelgroßer” Versorger ausfallen könnte, heißt es. In einem solchen Fall ist die Rede von einem Sonderverwalter, der von der Regierung und der Regulierungsbehörde Ofgem eingesetzt werden solle.
In Deutschland gibt es bisher keine konkreten Indizien für Probleme von Anbietern im Haushalts- und Gewerbesegment. Im Industriekundensektor hatte Enerco Systems schon im Juli Kunden angeschrieben und mit Verweis auf die Wirtschaftsklausel in den allgemeinen Geschäftsbedingungen eine sehr starke Anhebung des Arbeitspreises verlangt und alternativ ein Sonderkündigungsrecht angeboten.
Suche nach den Ursachen
Über die Ursachen der Preisturbulenzen wird intensiv diskutiert. Die historisch niedrigen Speicherfüllstände, das fehlende LNG-Angebot sowie die im Vergleich zu 2019 relativ geringen russischen Gasflüsse gelten als wesentliche Ursachen. Welchen Einfluss der Einsatz von Algo-Trading Systemen hat, beurteilen Händler unterschiedlich. “Sie tragen zur Volatilität bei, sind aber nicht entscheidend”, meinte ein Händler, während ein anderer Marktteilnehmer in den “Algos”, die vor allem Fonds einsetzen, einen wesentlichen Treiber sieht. Ein Dritter meinte, der Markt sei einfach nervös. Vor allem die Unsicherheit über die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 und ihre Konsequenzen sei dafür verantwortlich. Eine Gruppe von Europaabgeordneten hat die EU-Kommission aufgefordert, zu untersuchen, ob Gazprom bewusst den Markt manipuliert.
Zu den Füllständen der Speicher schreibt die Initiative Erdgasspeicher in einer Pressemitteilung, die Füllstände bedeuteten keine Gefahr für die Versorgungssicherheit. Bis Anfang November sei noch ein Füllstand von über 90 Prozent erreichbar. Aber die Long-Term Options als Regelenergieprodukt zur Sicherung der Versorgung durch eine Garantie von Mengen aus Speichern sollten früher als üblich ausgeschrieben werden. Equinor wird ab dem 1. Oktober seine Exporte erhöhen. Die Produktionsgenehmigungen für die Felder Oseberg und Troll wurden für das kommende Gaswirtschaftsjahr um jeweils ein Mrd. Kubikmeter erhöht, teilte der norwegische Produzent mit. Dennoch stiegen auch am 20. September die Preise weiter an. Der Markt bleibt nervös, da Gazprom für Oktober auf der Yamal-Nord weniger Kapazität als erwartet gebucht hat und keinen zusätzlichen Ukraine-Transit.
Am Freitag der vergangenen Woche erreichten die Turbulenzen auch den Regelenergiemarkt. Für den Kauf lokaler L-Gas-Regelenergie musste NCG einen durchschnittlichen Preis von 160 Euro/MWh bezahlen. 7.500 MWh kosteten insgesamt 1,2 Mio. Euro.
Bildquelle: Danske Commodities/Thomas Priskorn