Verfassungsgericht verdonnert Regierung zu mehr Klimaschutz
Karlsruhe (energate) – Das Bundesverfassungsgericht hat den Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung von Ende 2019 teilweise recht gegeben. Demnach geht das Gesetz nicht weit genug. Die Politik muss nachbessern, um die Freiheitsrechte junger Menschen und zukünftiger Generationen zu schützen. Der Gesetzgeber ist nun verpflichtet, die Minderungspfade der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 näher zu regeln. Dafür hat er bis Ende 2022 Zeit. Für den Zeitraum bis 2030 hat das Verfassungsgericht die zu starke Freiheitsbeschränkung nicht bestätigt.
Insgesamt urteilte das Gericht zu vier vorliegenden Verfassungsbeschwerden von Jugendlichen und Erwachsenen aus dem In- und Ausland, darunter die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer und der Schauspieler Hannes Jaenicke. Sie wurden unterstützt vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dem Solarenergie-Förderverein Deutschland, der Deutschen Umwelthilfe sowie von Germanwatch und Greenpeace (energate berichtete).
Freiheitsrechte junger Menschen gefährdet
Die Regelungen des Klimaschutzgesetzes vom 12. Dezember 2019 über die nationalen Klimaschutzziele und die bis zum Jahr 2030 zulässigen Jahresemissionsmengen sind insofern mit den Grundrechten unvereinbar, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen, heißt es in dem nun bekannt gewordenen Urteil vom 24. März. Grundrechte seien dadurch verletzt, dass die bis zum Jahr 2030 zugelassenen Emissionsmengen, die nach 2030 noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten erheblich reduzierten und dadurch praktisch jegliche grundrechtlich geschützte Freiheit gefährdet sei. Zur Wahrung dieser Freiheit hätte der Gesetzgeber Vorkehrungen treffen müsse.
Die Verfassungsrichter urteilen weiter, dass der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit im Grundgesetz den Schutz vor Beeinträchtigungen durch Umweltbelastungen einschließe. Die Schutzpflicht des Staates umfasse auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Sie könne eine Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen.
SPD-Kanzlerkandidat Scholz attackiert Altmaier
Die Kläger und die sie unterstützenden Verbände sprechen von einem “Meilenstein” und einem “bahnbrechenden Urteil”. Erstmals habe das Bundesverfassungsgericht einer Umweltklage recht gegeben, sagte der Nachhaltigkeitsforscher Felix Ekardt vom BUND. “Dies ist ein großer Tag für viele junge Menschen, die für ihre Zukunft streiten”, sagte Luisa Neubauer.
Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) spricht von einem “historischen Urteil von herausragender Bedeutung für Klimaschutz und die Rechte junger Menschen – und auch für die Planungssicherheit in der Wirtschaft”. Einiges sei angestoßen worden, wenn auch spät. Nun helfe nur der Blick nach vorne. Das Urteil sei zu akzeptieren und umzusetzen. “Die Frage, wie es nach 2030 weitergeht, darf nicht offenbleiben”, so Altmaier. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz warf dem Wirtschaftsminister auf Twitter unterdessen vor, dass er und die beiden Schwesterparteien CDU/CSU genau das verhindert hätten, was nun vom Bundesverfassungsgericht angemahnt werde. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) versprach angesichts des Urteils weitere konkrete Vorgaben für die Zeit nach 2030. Allerdings müsse Deutschland infolge des neuen EU-Klimaziels schon in den 20er Jahren seine bisher geplanten Klimaschutz-Anstrengungen erhöhen. Sie werde ich noch im Sommer Eckpunkte für ein weiterentwickeltes Klimaschutzgesetz vorlegen, kündigte Schulze an.
Umweltschützer und Energiebranche wollen Tempo
Auch die Kläger sehen Handlungsbedarf weit vor 2030: “Das Bundesverfassungsgericht hat nicht gesagt, ihr dürft bis 2030 alles verjubeln”, sagte die Anwältin Roda Verheyen. Klimaziele und Maßnahmen würden schon vor 2030 nachgebessert werden müssen. Zwar gebe es im Urteil keine Detailregelungen, beispielsweise zum Kohleausstieg oder den Ausbau der Erneuerbaren, “aber der Taschenrechner zeigt, dass ein Kohleausstieg 2038 nicht mehr zu halten sein wird”, so Verheyen.
Die Energiebranche fordert Tempo beim Erneuerbaren-Ausbau. “Wir können uns Aufschieberitis nicht mehr leisten”, sagte Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU). “Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE), hält die bisherigen Klimaziele bis 2030 ebenfalls für nicht ambitioniert genug, um Deutschland auf dem Weg der Klimaneutralität maßgeblich voranzubringen. Infolgedessen würden nach 2030 entsprechend größere Schritte notwendig, die dann mit deutlich ambitionierteren Maßnahmen verknüpft werden müssten. “Deshalb sind die erneuerbaren Energien als zentraler Schlüssel für den Klimaschutz anzuerkennen und entsprechende Instrumente für deren Ausbau in allen Sektoren endlich auf den Weg zu bringen”, so Peter. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) mahnt ebenfalls an, die Ausbaupfade für Windenergie und Photovoltaik bald zu erhöhen sowie das Abgaben- und Umlagensystems zur Entlastung der Stromverbraucher zu reformieren.
Bildquelle: Fridays for Future Deutschland